Arterielle Hypertonie

Entsprechend der jüngsten WHO/ISH-Definition liegt bei Blutdruckwerten von 140 mmHg systolisch und/oder 90 mmHg diastolisch eine arterielle Hypertonie vor (Tab. 7.1). Eine isolierte systolische Hypertonie liegt vor, wenn der systolische Blutdruck ≥ 140 mmHg beträgt, der diastolische Blutdruck aber unter 90 mmHg liegt. Die genannten Definitionen gehen von den Ruheblutdruckwerten im Sitzen oder Liegen aus. Eine einmalige Blutdruckerhöhung ist für die Diagnose einer arteriellen Hypertonie nicht ausreichend. Die genannten Werte müssen vielmehr bei mehrfachen Messungen erhoben werden.
In der westlichen Welt leiden etwa 15–20 % der erwachsenen Bevölkerung an einer arteriellen Hypertonie. Die Verteilung der Blutdruckwerte in der Bevölkerung entspricht in etwa einer schiefen Normalverteilung. Die Blutdruckwerte nehmen statistisch mit dem Alter zu. Insbesondere die systolische Hypertonie ist eine Erkrankung des höheren Alters. Ferner steigt der Blutdruck in der Regel mit zunehmendem Körpergewicht. Bei Männern sind die Blutdruckwerte im statistischen Mittel höher als bei Frauen.

Klassifikation

Systolisch (mmHg)

Diastolisch (mmHg)

Optimal

< 120

< 80

Normal

< 130

< 85

Noch“ normal

130–139

85–89

Untergruppe Grenzwerthypertonie

140–149

90–94

Milde Hypertonie (Schweregrad 1)

140–159

90–99

Mittelschwere Hypertonie (Schweregrad 2)

160–179

100–109

Schwere Hypertonie (Schweregrad 3)

> 180

> 110

Isolierte systolische Hypertonie

> 140

< 90

Untergruppe systolische Grenzwerthypertonie

140–149

< 90

 

* Wenn systolischer und diastolischer Blutdruck bei einem Patienten in unterschiedliche Klassen fallen, sollte die höhere Klasse Anwendung finden.

 

In etwa 90 % der Fälle kann mit den heutigen diagnostischen Methoden keine Ursache der Hypertonie gefunden werden. In diesen Fällen spricht man von primärer oder essentieller Hypertonie. Es ist nicht klar, ob es lediglich eine Ursache der primären Hypertonie gibt oder ob dieser Begriff ein „Sammeltopf“ für mehrere unterschiedliche ätiologische Faktoren ist, die bislang nicht unterschieden werden können.

 

Für die Pathogenese der essentiellen Hypertonie ist die Erhöhung des peripheren arteriellen Gefäßwiderstandes entscheidend. Die Gründe für den gesteigerten Gefäßwiderstand sind allerdings bislang unklar.

 

Die essentielle Hypertonie ist häufig mit den übrigen Symptomen des sog. metabolischen Syndroms verbunden, wie Adipositas, Fettstoffwechselstörungen und gestörte Glukosetoleranz. Ein wichtiger pathogenetischer Faktor des metabolischen Syndroms ist die Insulinresistenz. Es ist aber völlig offen, ob es zwischen der Insulinresistenz und der primären Hypertonie kausale Zusammenhänge gibt.

 

Zumindest in einem Teil der Fälle trägt eine erhöhte Kochsalzzufuhr zur Blutdrucksteigerung bei. Große epidemiologische Studien zeigen einen signifikanten Zusammenhang zwischen Kochsalzkonsum und Blutdruckhöhe. 

 

Die obstruktive Schlafapnoe ist bei etwa einem Drittel der Patienten mit essentieller Hypertonie vorhanden. Ob dies allerdings eine rein statistische Assoziation ist oder einen kausalen Zusammenhang widerspiegelt, ist noch offen. Folgender kausaler Zusammenhang ist denkbar: Bei der obstruktiven Schlafapnoe ist das sympathische Nervensystem deutlich stimuliert. Durch diese Überaktivität des Sympathikus kann es zu temporären oder längerfristigen Blutdrucksteigerungen kommen.

 

Eindeutige Hinweise gibt es auf eine genetische Komponente: Studien an Zwillingen haben ergeben, dass die genetischen und die erworbenen Faktoren jeweils etwa zu 50 % für den erhöhten Blutdruck von Hypertoniepatienten verantwortlich sind. Aufgrund der Blutdruckverteilung in der Bevölkerung ist auch klar, dass die essentielle Hypertonie, soweit sie genetisch verursacht ist, nicht entsprechend einem Mendel’schen Erbgang übertragen wird, sondern vielmehr eine polygenetische Erkrankung ist. Für die Pathogenese der essentiellen Hypertonie potentiell relevante Genpolymorphismen sind z.B.: 

  • 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase

  • Amilorid-sensitiver Natriumkanal (ENaC)

  • Prostazyklin-Synthase

  • β-Rezeptoren

  • AT1-Rezeptor

  • Angiotensinogen

  • α-Adducin

  • IGF-1

  • Renin

Man muss dabei aber im Auge behalten, dass Polymorphismen der einzelnen Gene allenfalls einen geringen Beitrag zur Blutdruckhöhe leisten.

 

Hinweise dafür, dass einige der genannten Gene tatsächlich an der Entstehung der primären Hypertonie beteiligt sind, ergeben sich aus folgenden Beobachtungen: Man kennt seltene Mutationen einzelner dieser sog. Kandidatengene. Diese Mutationen haben eine Hypertonie zur Folge, die aufgrund der gestörten Funktion des Genprodukts erklärt werden kann. Beispiele hierfür sind:

  • Liddle-Syndrom

Hier liegt eine autosomal-dominante Mutation der regulatorischen Untereinheiten des Amilorid-sensitiven Natriumkanals (ENaC) vor, der u.a. an den Epithelzellen des distalen Tubulus exprimiert ist. Die Mutation verhindert, dass die Kanalproteine normal internalisiert werden. Daher ist die Zahl der Kanäle an der Zelloberfläche pathologisch gesteigert. Durch diese Mutation ist die Natriumrückresorption gesteigert, die Steuerung der Rückresorption über die Aldosteronsekretion ist gestört. Aus einer gesteigerten Kochsalz-und Volumenretention resultiert eine Hypertonie.

  • Apparenter Mineralokortikoidexzess

Hier liegt eine autosomal-rezessive Mutation der 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase vor, wodurch das Enzym in seiner Aktivität deutlich gemindert ist. Das Enzym wandelt Cortisol zu Cortison um. Cortison hat eine wesentlich geringere Affinität zum Mineralokortikoidrezeptor als das Cortisol. Daher spielt dieses Enzym auch eine wichtige Rolle in der Regulation der Mineralokortikoidwirkungen: Sein Ausfall lässt die Konzentration von Cortisol ansteigen. Cortisol hat eine ähnliche Affinität zum Mineralokortikoidrezeptor wie das Aldosteron. Dadurch ist bei diesem Krankheitsbild die Mineralokortikoidwirkung bedeutend gesteigert. Es entsteht ein ähnliches klinisches Bild wie beim primären Hyperaldosteronismus.

 

Die oben genannten Beispiele für renale und hormonale Mechanismen kommen nur in sehr wenigen Fällen vor. Die Bedeutung für das Verständnis der essentiellen Hypertonie liegt möglicherweise darin, dass analoge, wenn auch weniger ausgeprägte Veränderungen auch durch Polymorphismen der betreffenden Gene auftreten können. Solche Polymorphismen kommen in der Bevölkerung wesentlich häufiger vor als die geschilderten seltenen Mutationen, haben aber keine so drastischen Auswirkungen auf die Funktion des Enzyms bzw. Kanals.

 

Eine weitere grundsätzliche Möglichkeit, die Pathogenese der essentiellen Hypertonie zu erklären, liegt in Veränderungen der Gefäßwand: Sowohl die glatte Gefäßmuskulatur als auch das Endothel der arteriellen Gefäßwand können bei der essentiellen Hypertonie so verändert sein, dass ein erhöhter Gefäßtonus resultiert. Folgende Überlegungen sollen verdeutlichen, welche grundsätzlichen Mechanismen im Bereich der Gefäßwand in Betracht kommen:

 

Der Tonus der Gefäßmuskulatur wird u.a. durch die zytoplasmatische freie Kalziumkonzentration reguliert. Diese Zusammenhänge legen die Folgerung nahe, dass Veränderungen, die das freie zytoplasmatische Kalzium steigern, auch zur Hypertonie prädisponieren, während umgekehrt alle Mechanismen, die das freie zytoplasmatische Kalzium senken, einer Hypertonie entgegenwirken. 

 

Folgende Mechanismen sind auf der Basis dieser Überlegungen geeignet, eine Hypertonie hervorzurufen:

  • ein gesteigerter Kalziumeinstrom über die Zellmembran: Dieser kann z.B. durch L-Typ-Kalziumkanäle oder über unselektive Kationenkanäle wie z.B. die Trp-Kanäle zustande kommen.

  • eine verminderte Kalziumaufnahme in intrazelluläre Organellen wie z.B. das endoplasmatische Retikulum: Diese entsteht z.B. durch eine verminderte Aktivität der sarkoplasmatischen/endoplasmatischen Kalzium-ATPase.

  • ein verminderter Auswärtstransport von intrazellulärem Kalzium: Dieser kann z.B. durch eine verminderte Aktivität der Kalzium-ATPase in der Zellmembran ausgelöst werden.

Die genannten Mechanismen sind experimentell in zahlreichen Studien mit einem gesteigerten Gefäßtonus in Verbindung gebracht worden. Für die essentielle Hypertonie beim Menschen fehlen allerdings bislang eindeutige Hinweise, dass diese Mechanismen in der Pathogenese der Hypertonie wichtig sind.

 

Das Endothel ist nicht nur die Auskleidung der Gefäßinnenseite, sondern auch ein für die Kreislaufregulation eminent wichtiges endokrines Organ. Die Endothelzelle produziert u.a. das für die Gefäßregulation so wichtige NO, aber auch Arachidonsäurederivate wie die Prostaglandine oder Vasokonstriktoren wie das Endothelin. Diese wenigen Beispiele mögen ausreichen, um die Rolle des Endothels bei der Regulation der Durchblutung zu verdeutlichen.  Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass eine endotheliale Fehlsteuerung des Gefäßtonus auch für die Entstehung der essentiellen Hypertonie bedeutsam sein könnte. In diesem Zusammenhang wurde u.a. eine verminderte NO-Produktion durch das Endothel diskutiert. Eine solche endotheliale Dysfunktion resultiert in einer verminderten endothelgesteuerten Vasodilatation. Eine endotheliale Dysfunktion wurde vor allem in arteriosklerotischen Gefäßen sowie bei Fettstoffwechselstörungen belegt. Bei der primären Hypertonie lässt sich eine endotheliale Dysfunktion aber nicht konstant nachweisen. Wenn sie nachweisbar ist, kann sie auch als Folge einer beginnenden Arteriosklerose gedeutet werden. Daher ist gegenwärtig auch eine endotheliale Dysfunktion nicht als ein für die primäre Hypertonie entscheidender Mechanismus anzusehen.

 

Eine Übersicht über die zahlreichen diskutierten Hypothesen zur Hypertonieentstehung wäre nicht vollständig, ohne das sympathische Nervensystem zu erwähnen. Für eine gesteigerte Aktivität des sympathischen Nervensystems sind zahlreiche Hinweise bei der primären Hypertonie erhoben worden. Es ist dennoch bislang nicht gelungen, eindeutige Veränderungen des Sympathikus zu definieren, die einer essentiellen Hypertonie zugrunde liegen können.